Jahrzehntelang haben Schweizer Behörden die Lebensweise der Jenischen unterdrückt. So erging es auch Robert Huber in der Ostschweiz.
Dies ist eine Zusammenfassung aus dem Artikel von Mark Schoder / St. Galler Tagblatt
Bis in die 1970er-Jahre nahm Pro Juventute die Kinder der Jenischen weg und «versorgte» sie in Heimen und Gastfamilien. Systematisch sollten Hunderte Minderjährige ihre jenischen Wurzeln verlieren. Allein im Kanton St. Gallen sind die Fälle von 94 Kindern aktenkundig. Auf dem Nachhauseweg abgepasst und mitgenommen, kamen viele bei Thurgauer Bauern als Verdingkinder unter. Der Vorwand: «Kindeswohl». In Wahrheit handelte es sich um eine rassistische Aktion der Pro Juventute und ihr «Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse». Viele betroffene Jenische Familien leiden noch heute unter den Folgen dieser Aktion, denn sie tragen die erlebten Traumata ihrer Eltern und Grosseltern mit sich.
Auch Robert Huber war ein Kind der Landstrasse. Im Artikel berichten Daniel Huber, Präsident der Radgenossenschaft der Landstrasse, und Willi Wottreng, Journalist und Autor, über die traurige Geschichte von Robert Huber, Vater von Daniel Huber und ehemaliger Präsident der Radgenossenschaft der Landstrasse.
Robert Hubers Mutter war oft hausierend unterwegs. Als Kleinkind lebte er deshalb bei sesshaften Verwandten. Er wurde ihnen aber durch die Pro Juventute weggenommen und lebte fortan in verschiedenen Heimen. Roberts traurige Heim- und Pflegefamilienkarriere fand ihren Tiefpunkt, als er in Quarten am Walensee als «rebellischer» Kerl psychiatrisch abgeklärt wurde. Hierzu liegt ein Gutachten vor, aus welchem im Interview einige Passagen vorgelesen wurden. Die Heimleitung diagnostiziert bei Robert Huber «absolute Gedankenarmut». Jeglicher gesunder Bezug zur Umwelt fehle bei diesem «geistig nicht intakten Menschen». Mehr als 70 Jahre später sagt sein Sohn: «Für diese Leute blieb er unheilbar.»
Doch Robert Hubers Leidensweg endete damit nicht. Nach einer Zechprellerei brachte ihn die Staatsgewalt in die Strafanstalt Bellechasse im Kanton Freiburg, wo er zeitweise im Zuchthaus mit Mehrfachmördern und anderen Schwerstkriminellen untergebracht wurde. Seine Jugend verbrachte Robert Huber in 14 verschiedenen Heimen oder bei Bauern. Mit 20 Jahren streifte mithilfe gerichtlicher Eingaben seine Vormundschaft ab. Von da an lernte er von einem seiner Brüder, wie ein Jenischer zu leben. Robert Huber behauptete sich als erfolgreicher Geschäftsmann, verkaufte Möbel und Altmetall. Ihn zog es nach Graubünden, wo er seine Frau kennenlernte, Daniel Hubers Mutter. Er fing an zu politisieren und wurde Präsident der Radgenossenschaft der Landstrasse.
Gemäss Daniel Huber und Willi Wottreng handelte es sich bei der Aktion der Pro Juventute um einen “kulturellen Völkermord”. Das, was Daniel Hubers Vater erlebt hätte, sei kein Einzelfall gewesen, sondern der systematische Versuch eines Staats, die jenische Kultur auszurotten. Das Gutachten zur rechtlichen Abklärung, ob es sich bei der Aktion Kinder der Landstrasse um einen Völkermord handelt, sind noch am Laufen.
Heute leben 30'000 Jenische in der Schweiz. 3000 von ihnen reisen von Ort zu Ort. Und sie outen sich als Jenische, ohne Scham. Der Lebensstil der Jenischen berge, so Daniel Huber, eben viel Strahlkraft: «Ich habe nichts anderes gelernt, als zu überleben. Alles andere kann ich noch lernen.»