Musik und Tanz auf dem Durchgangsplatz Bonaduz
Musik und Tanz auf dem Durchgangsplatz Bonaduz, 2007. Foto: Willi Wottreng, Bildarchiv Radgenossenschaft.

Feste und Bräuche

Obwohl sie eine Minderheit darstellen, pflegen die Fahrenden und die Jenischen keine Bräuche, die sich von jenen der Mehrheitsbevölkerung tiefgehend unterscheiden; denn sie standen stets mit den «Bauern» im Austausch. Feste mit eigenem Charakter entstanden im Zusammenhang mit ihrer Lebensweise als mobile Handwerker und Händler.

Das abendliche Feuer

Wer am frühen Abend auf einen Platz von Fahrenden fährt, wird unweigerlich vor Wohnwagen oder mitten auf dem Platz einen Grill sehen, irgendwann mit brutzelndem Geflügel oder Fleisch drauf. Frauen und Männer, die herumstehen oder sitzen. Das abendliche Feuer ist nicht romantische Vorstellung, es gehört zum Alltag. Ein Mann mittleren Alters erzählt aus seiner Jugend: «Wir sind manche Abende am Feuer gehockt. Dann hast du einfach über den Alltag geredet. Vielleicht ist noch ein Sesshafter vorbeigekommen und hat auch etwas berichtet, so hat man am meisten erfahren.» Heute verbieten Benutzungsvorschriften auf den Plätzen offene Feuer; der Grill aber bleibt. Wenn später noch einer sein Schwyzerörgeli hervorholt, ist das Fest perfekt.

Bootschen

In Kiesgruben oder neben einem Standplatz mag man Jenische bei einem Wurfspiel sehen, das dem Boule-Spiel gleicht. Die Spieler schiessen ungeformte Steine, die sie aufgelesen haben, in Richtung einer Bierflasche oder eines Steckleins. Wer mit dem «Bootsch», dem Geschoss, möglichst nahe ans «Plamp», das Ziel, herankommt, hat gewonnen. Dieser Sport wird derzeit neu belebt. Im Herbst 2005 wurde im süddeutschen Singen ein erstes internationales Bootsch-Turnier mit einem Wanderpokal durchgeführt; und an der Feckerchilbi in Brienz 2010 wurde eine Schweizer Meisterschaft veranstaltet.

Feckerchilbi

1982 belebten die Jenischen eine Tradition neu, die bereits vor 200 Jahren in der damals freien Republik Gersau bestanden hatte und welche die Phantasie der aufbrechenden jenischen Bewegung beflügelte. So trafen sich rund 300 Jenische mit ihren Wohnwagen, veranstalteten einen Strassenmarkt, boten Musik in den Beizen und feierten Freinächte. Selbst eine Hochzeit von Fahrenden wurde zelebriert. Der Erfolg veranlasste die Veranstalter, die Feckerchilbi einige Jahre zu wiederholen. Am Namen hielten sie fest, obwohl «Fecker» eine abschätzige Innerschweizer Bezeichnung für Fahrende ist. 2008 fand eine Feckerchilbi dann in Brienz statt.

Die Feckerchilbi in Gersau SZ
Die Feckerchilbi in Gersau SZ, 1982 – das grosse Fest der Fahrenden. Foto: Gertrud Vogler, Bildarchiv Radgenossenschaft.

Wallfahrten

Fahrende und Jenische in der Schweiz stammen oft aus katholischen Gebieten und pflegen Traditionen der Volksfrömmigkeit. Jährlich findet in Einsiedeln eine Wallfahrt statt. Familienverbände mit Einsiedler Bürgerrecht haben die Prozessionen Ende der 1990er Jahren ins Leben gerufen. In Einsiedeln steht eine Schwarze Madonna, die von religiösen Jenischen besonders verehrt wird. Einige sehen in ihr die «Schwarze Sara», jene Heiligenfigur, die in Saintes-Maries-de-la-Mer in der Camargue bei einem internationalen Roma-Fest verehrt wird; auch Familien aus der Schweiz fahren regelmässig hin.

Begräbnisse

Der Tod ist in der Vorstellungswelt mancher Jenischer nicht das Ende eines Lebens. Ein Toter ist «mulo» – das Wort stammt aus dem Romanes und bedeutet etwa: ein Geist. Trotz dieser Aura, die den Tod umgibt, werden Begräbnisse oft ausgesprochen bescheiden begangen. Keine eigene Musik oder Wortbeiträge werden dargeboten, nur ein örtlicher Priester spricht. Das Besondere an Begräbnissen von Jenischen und Fahrenden ist die grosse Zahl Teilnehmender. Es trifft sich die ganze Gemeinschaft, die den Verstorbenen oder die Verstorbene umgeben hat, selbst im abgelegensten Dorf. Es ist ein Grossereignis. Die ganze Trauergemeinde begibt sich nach der Bestattung in ein nahegelegenes Wirtshaus.