Text: Thomas Huonker
Heimatlose, Korber, Schirmflicker sind ein wichtiges Randthema der Schweizer Dichtung. Doch erst seit dem zwanzigsten Jahrhundert schreiben Jenische wie Albert Minder und Mariella Mehr selber Literatur.
Der Dichter und reformierte Pfarrer Jeremias Gotthelf (eigentlich Albert Bitzius, 1797–1854) beschrieb in Der Bauernspiegel (1837), Barthli der Korber und Der Besenbinder von Richiswil (1852) sesshafte Korbmacher, Hausierer und Besenbinder unter Übernahme und Verstärkung antiziganistischer Vorurteile. Im Bauernspiegel bezeichnete er die so Beschriebenen als «christliche Zigeuner». Gotthelf verwies auf ihre Kontakte mit nicht sesshaft Lebenden, welchen er Kriminalität unterstellte. Für ihn waren sie «Leute, welche gewöhnlich nicht in Wirtshäusern übernachten, sondern bei den Bauern im Stall. Es waren Herumstreicher, welche die Polizei fürchten mussten; sie brachten allerhand gute Sachen mit, und dann liess man es sich recht wohl sein.» (Bauernspiegel, Ausgabe Zürich 1937, S. 121)
Der Maler, Dichter und Staatsschreiber Gottfried Keller (1819–1890) thematisierte mehrfach nichtsesshafte Bewohner der Schweiz, die damals als verelendete Papierlose von Kanton zu Kanton geprügelt wurden, bis sie zwischen 1851 und 1880 zwar eingebürgert, nicht jedoch als wirklich Gleichgestellte respektiert wurden. Kellers Novelle Romeo und Julia auf dem Dorfe (1856) schildert ein Fest dieser Ausgegrenzten zur Musik des «schwarzen Geigers», der wegen Bürgerrechtsverlusts seines Vaters besitz- und papierlos wurde, als einem Hexensabbat ähnlich: «[Es] begann eine grosse Fröhlichkeit. Der Schmollende hatte sich mit der Ungetreuen versöhnt und das Paar liebkoste sich in begieriger Seligkeit; das andere wilde Paar sang und trank und liess es ebenfalls nicht an Liebesbezeugungen fehlen […], und oben strich der schwärzliche Kerl die Geige noch einmal so wild, sprang und hüpfte wie ein Gespenst, und seine Gefährten blieben nicht zurück in der Ausgelassenheit, so dass es ein wahrer Blocksberg war in der stillen Höhe.» (Gesammelte Werke, Zürich 1984, S. 144f.) Negativ wirkt Kellers Heimatlosen-Bild auch in den Poemen Der Taugenichts und Bettelpack. Den Abgrund zwischen bürgerlichem Wohlbehagen und Heimatlosen-Elend zeigen acht Zeilen aus Kellers Gedicht «Zur Erntezeit» (1846): «Uns beiden ist, dem Land und mir / So innerlich, von Grund aus, wohl – / Doch schau, was geht im Feldweg hier, / Den Blick so scheu, die Wange hohl? / Ein Heimatloser sputet sich / Waldeinwärts durch den grünen Plan – / Das Menschenelend krabbelt mich / Wie eine schwarze Wolfsspinn an.»
Josef Joachim (1834–1904), nach einem Konkurs selber ausgegrenzt, erzählt als erster Schweizer Autor aus der Perspektive der Heimatlosen, im tragisch endenden Roman Lonny, die Heimatlose (1888). Wiederholter Einschub jenischer Wörter in die Äusserungen seiner nicht sesshaften Romanfiguren erweisen deren ethnische Zugehörigkeit.
Weder in Arthur Zimmermans Roman Die Feckerkilbi von Gersau (1943) noch in der Erzählung Die Heimatlosen (1946) des Nidwaldner Staatsschreibers Franz Odermatt und ebensowenig in der Novelle Begräbnis eines Schirmflickers (1958) von Meinrad Inglin wird die damalige systematische Zerstörung jenischer Familien in der Schweiz thematisiert. Jedoch stellt der 1979 von Xavier Koller unter dem Titel Das gefrorene Herz verfilmte Text Inglins die geizige Abwehrhaltung der Sesshaften klar.
Bittere Worte zur Verfolgung seiner Vorfahren fand der Berner Jenische Albert Minder (1879–1965) in seinen beiden Büchern Der Sohn der Heimatlosen (1925) und Die Korbmacher-Chronik (1948). Auch Minder sparte die aktuelle Verfolgung aus. Um diese kreisen der Roman Steinzeit (1981), das Drama Kinder der Landstrasse (1987) und weitere kraftvolle Texte von Mariella Mehr (* 1947), Pro-Juventute-Mündel und Heimkind, Mitbegründerin der Radgenossenschaft der Landstrasse und Ehrendoktorin der Universität Basel.